Ein Dorf soll zum Hotel werden

Oktober 2019

Ein ehrgeiziges Tourismusprojekt soll den Ort Corippo im Verzascatal vor dem Aussterben bewahren. Die letzten 13 Einwohner des Tessiner Dorfes haben einen speziellen Plan. Sie möchten aus dem Dorf ein Hotel machen.

Corippo TI ist die kleinste Gemeinde in der Schweiz – und eine der schönsten, schreibt der Blick. Enge Gassen, Steinhäuser, Brunnen, Kirche und Piazza schmiegen sich auf knapp 600 Meter Höhe an einen wild bewachsenen Berghang im Verzascatal. Doch die Postkartenidylle trügt. Wo einst noch 300 Menschen lebten, wohnen heute nur noch 13 Personen. Und: Eine dreiköpfige Familie zieht bald weg. Es bleiben zehn Bewohner übrig. Bis auf Gemeindepräsident Claudio Scettrini (55) sind alle im Pensionsalter. Und der Sindaco hat nun auch noch sein Amt geschmissen, zusammen mit den anderen der Dorfverwaltung, zwei Seniorinnen im Alter von 67 und 82 Jahren. Irgendwie fehle die Motivation, so Claudio Scettrini zu seinem Abgang.

Stiftung will aus Dorf das Hotel «Albergo Corippo» machen
Ein touristisches Projekt soll den Ort vor dem Aussterben retten. Es heisst «Albergo Corippo» und will aus dem Dorf ein Hotel machen. Der verwegene Plan: Die Osteria am Platz wird zur Rezeption und die Rustici sind die Zimmer. Dahinter steckt die Stiftung «Corippo 75», einst gegründet von Gemeinde, Kanton und Bund. Schon vor Jahren erwarb sie rund ein Dutzend Häuser im Ort. Jetzt werden die Rustici zu Hotelzimmern. «Jedes Rustico erhält den Namen der alteingesessenen Familie, die es einst besass», erklärt Fabio Giacomazzi (63), Stiftungspräsident und Architekt. Sein Ziel: «Der Charakter der traditionellen Lebensweise soll erhalten bleiben.» Das sind die Merkmale des Pilotprojekts. Als Vorbild dafür dienten die «Alberghi diffusi», Hoteldörfer in Italien, wo ganze Geisterstädte mit dem Konzept wieder auferstanden.

Eigenes Brot backen wie die Vorväter
Neben den Rustici will die Stiftung auch die alte Mühle instand setzen. Das Backhäuschen wird wieder angeschmissen, das Räucherhaus aufgebaut und es werden wie einst terrassierte Roggenfelder bestellt. «So wird Corippo sein eigenes Brot backen, so wie es die Vorväter machten», erzählt Fabio Giacomazzi. Ein Shuttle-Dienst bringt die Gäste zur Bushaltestelle. Ausflüge in die Umgebung, Backkurse, Museumsbesuche wird es geben. Und das Hoteldorf soll erweitert werden. Haus um Haus. Aber: Noch ist alles Zukunftsmusik. «In einer zweiten Etappe wollen wir auch andere Ferienhausbesitzer für unser Projekt gewinnen», sagt Giacomazzi. Siebzig Häuser umfasst der Ort.

Mit dem Hotel Innovation Award 2017 ausgezeichnet
«Ich finde die Idee wunderbar», sagt Claire Amstutz (62). Seit 20 Jahren lebt die Deutschschweizerin im Verzascatal. Heute führt sie die Osteria Corippo,
die später einmal die Rezeption werden soll. «Das Lokal wird vergrössert. Hier soll nicht nur Frühstück serviert, sondern auch eine Halbpension angeboten werden», sagt Claire Amstutz. Vom Erfolg ist die Wirtin überzeugt. «Die Deutschschweizer entdecken wieder ihre Heimat. Und das Tessin. So ein Hoteldorf kommt bestimmt gut an.» Das Konzept ist bereits vor der Eröffnung preisgekrönt. Gastro­suisse zeichnete das Gesamtprojekt «Albergo Corippo» mit dem Hotel Innovation Award 2017 aus. «Seit wir diesen Preis gewonnen haben, kontaktieren uns Leute, die ein Zimmer reservieren möchten. Nur gibt es dieses Hotel noch gar nicht», sagt Fabio Giacomazzi. 

Corippo: Das Projekt in Kürze

Die Strategie sieht vor, die Ressourcen mittels Wiederbelebung der landwirtschaftlichen Tätigkeiten aufzuwerten, traditionelle Produktionsweisen wieder aufzunehmen und Nahrungsmittel für lokale Konsumenten zu produzieren. Dies soll zu einem touristischen Nischenangebot führen: das Dorf als Hotel und Gaststätte. Die Instandsetzung und die Pflege der Agrarlandschaft als touristische Attraktion bilden den Synergieeffekt, der einer positiven sozioökonomischen Entwicklung förderlich sein wird.

www.fondazionecorippo.ch

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