Lehm feiert sein Comeback

Lehm rückt ins Zentrum der Forschung und Baupraxis, als klimaverträgliche Alternative zum energie- und emissionsintensiven Beton. Das Innosuisse-Projekt «Think Earth» vereint Forscher, Architekturbüros und Bauwirtschaft mit dem Ziel, lokal verfügbare, kreislauffähige und technisch weiterentwickelte Lehm- und Hybridkonstruktionen als neue Standards zu etablieren. Dahinter steht die klare Vision, Kreislaufwirtschaft und klimaneutrales Bauen als echte Alternative zur bisherigen Bauweise.

Oktober 2025

Lehm ist seit Jahrtausenden bewährt, besteht aus lokalem Ton, Schluff und Sand, ist ohne energieintensive Brennprozesse verwendbar und fast unbegrenzt verfügbar. Im Gegensatz zu Beton, dessen Herstellung mit dem Brennen von Kalkstein erhebliche CO₂-Emissionen verursacht, punktet Lehm mit minimalem Energieaufwand bei Gewinnung und Verarbeitung. Nach Abschätzung verschiedener Quellen fallen bei der Betonherstellung pro Tonne im Durchschnitt 800–900 kg CO₂ an, bei Lehm oft nur ein Zehntel davon und meist gar keine, sofern natürlich getrocknet wird.​

Der Lehmpavillon in Horw
Im Rahmen von «Think Earth» kooperieren die ETH Zürich, die HSLU und Industrieunternehmen, Lehm und Holz als Materialbasis in innovative Anwendung zu bringen. Ein Meilenstein ist der Lehmpavillon in Horw. Lehm- und Holzelemente werden mit recyceltem Oulesse, einem von Oxara entwickelten Mischabbruchstoff, in Hybridform kombiniert. Die Prototypen entstehen im engen Austausch mit Bauindustrie und Studierenden. Das Ziel ist modulare, vorfabrizierte Lehmbauteile mit zuverlässiger Festigkeit, vielseitig einsetzbar und rückbaubar, für mehrgeschossigen Wohnungsbau und flexible Architektur.​

Vorteile, Herausforderungen und Kreislaufpotenzial
Lehm ist nicht nur energiesparend, sondern auch speicherfähig für CO₂, insbesondere wenn organische Zuschläge beigegeben werden– so kann er sogar klimapositiv wirken.​ Lehmbaustoffe lassen sich bei Gebäude-Rückbau leicht trennen und wiederverwenden. Der Recyclingprozess ist nicht aufwendig und ermöglicht echte Kreislaufwirtschaft.

Als Aushublehm oder als Nebenprodukt („Filterkuchen“) aus der Kies- und Aushubwäsche ist Lehm bereits heute regional im Überfluss vorhanden. Bislang scheitert eine breite Anwendung vor allem an fehlender Normierung und Marktreife. Daran arbeiten die Projektpartner von «Think Earth» nun intensiv.​

Noch sind Lehmbau-Hybridlösungen kostenintensiver als konventioneller Betonbau, aber Fortschritte in der industriellen Fertigung, Materialmischung und Qualitätssicherung bringen sie zunehmend in Reichweite für die Masse.​

Von der Nische zum Standard?
Die Forscherinnen und Forscher um HSLU und ETH Zürich arbeiten an der Standardisierung und Normierung der neuen Lehm-Hybridbauelemente, sodass ein Markteintritt in den nächsten zehn Jahren realistisch wird. Die Industrie zeigt grosses Interesse. Insbesondere, weil «Abfall» beim Aushub zum zentralen Rohstoff wird. Mit Lehm, Holz und intelligenten Hybridtechnologien steht ein Bauprinzip bereit, das natürliche Ressourcen schont, Klimavorteile bietet und dennoch architektonische Vielfalt ermöglicht.​ Lehm erlebt ein Innovations- und Image-Revival. «Think Earth» und der Lehmpavillon zeigen, wie Forschung und Bauwirtschaft gemeinsam Lösungen für die Bauwende liefern. Kleiner ökologischer Fussabdruck, Kreislaufpotenzial und Wohngesundheit sind mehr als ein Trend – sie markieren den Weg zu urbaner Baukultur im 21. Jahrhundert.

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