Die Schweizer Industrie im Stresstest

Die Schweizer Industrie steht 2025 an einem Wendepunkt. Nach jahrelanger Stabilität haben Branchengrössen wie Sika, Kühne+Nagel, SFS und Schindler massive Stellenabbau-Programme ausgeweitet, vor allem bei Blue-Collar-Jobs in Produktion, Logistik und Maschinenbau. Medienberichte und Firmenmeldungen aus Oktober 2025 zeigen, ein kollektiver Strukturwandel setzt klassische Industriearbeitsplätze unter Druck, während Digitalisierung und Automatisierung neue Unsicherheit schaffen.

Oktober 2025

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Externe Schocks wie der starke Franken, US-Zölle und Nachfragerückgänge in China treffen die Schweizer Industrie seit dem Frühjahr 2025 mit voller Wucht. In der Maschinen- und Technologiebasis brechen Auftragseingänge und Produktionskapazitäten spürbar ein. Im zweiten Quartal ging das Auftragsvolumen der MEM-Industrie laut Swissmem um über 13 Prozent zurück, in neun Quartalen nacheinander sank der Branchenumsatz. Die Exportabhängigkeit macht Schweizer Unternehmen besonders anfällig, da Wettbewerber in der EU deutlich niedrigere Zölle zahlen.​

Stellenabbau bei den Grossen und die Folgen
Sika baut weltweit 1’500 Stellen ab, hauptsächlich im Bausektor und Produktionsstandorten in China. Die Restrukturierung ist eine Reaktion auf zweistellige Umsatzverluste und einen schwächelnden Baumarkt. Gleichzeitig setzt Sika auf Investitionen in Digitalisierung und Automatisierung.​

Kühne+Nagel kündigte ebenfalls bis zu 1’500 Jobverluste nach einem Gewinneinbruch und Margendruck an. Der Markt ist durch Überkapazitäten und US-Zölle stark belastet. Effizienzsteigerungen und Automatisierung führen zum Wegfall vieler Logistikarbeitsplätze.​

SFS Group streicht 110 Stellen mit der Schliessung des Werks Flawil. Der dramatische Einbruch der Autoindustrie, der Umbau auf Elektromobilität und Konkurrenzdruck aus Asien führen zu Produktionsverlagerungen und dem Abbau qualifizierter Montagejobs.​

Schindler hat im dritten Quartal 1’200 Arbeitsplätze rationalisiert, weil das globale Neuanlagengeschäft für Aufzüge, vor allem in China, einbrach. Rationalisierungen im Backoffice und Produktion sind die Folge.​

Auch andere Branchengrössen wie Idorsia (Pharma, Basel), Rieter (Maschinenbau) oder Helvetia (Versicherung) melden Hunderte von bevorstehenden Jobverlusten, oft mit dem Hinweis auf Auftragsrückgänge und Standortverlagerung ins Ausland.​

Blue-Collar-Jobs und die Gefahr der Standortkrise
Betroffen sind vor allem klassische Blue-Collar-Jobs – also Arbeitsplätze in Produktion, Montage, Logistik oder Instandhaltung. Die technologisch getriebenen Rationalisierungen, der Umstieg auf Elektromobilität im Automotive-Sektor und Effizienzprogramme in Logistik und Backoffice sorgen für Verlagerung ins Ausland oder Automatisierung der Prozesse. Laut Umfragen rechnet aktuell mehr als jeder dritte Finanzchef in der Schweiz mit weiterem Stellenabbau im eigenen Unternehmen.​

Die Folgen reichen weit über die einzelnen Firmen hinaus. Regional droht die Verödung von Industriestandorten, soziale Abstiegsszenarien und Risiken für die gesellschaftliche Stabilität. Arbeitsmarktforscher warnen zudem, dass selbst die starke Pharmabranche von weiteren Rationalisierungswellen nicht verschont bleiben könnte.

Gesellschaft und Politik im Dialog
Öffentliche Diskussionen und Wirtschaftsforen ringen um Antworten. Standortförderung, gezielte Weiterbildung und Qualifikation, sozialpolitische Begleitmassnahmen und Innovationsförderung sind die zentralen Themen. Denn der Abbau ist Ausdruck eines doppelten Strukturwandels. Er ist Folge schwankender Weltwirtschaft, aber auch der rasanten Fortschritte von Digitalisierung und KI und wird sich nicht mit reiner Marktlogik lösen lassen.

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