Zürichs «City im See»
Vor mehr als 60 Jahren präsentierte der Zürcher Architekt André E. Bosshard eine radikale Vision für Zürch. Eine neue Geschäftsstadt, mitten im Zürichsee errichtet. Das Projekt «City im See» sollte zugleich Wohn- und Verkehrskrise lösen. Geblieben ist es Teil einer Epoche kühner, aber kaum realisierbarer Stadtutopien und aktueller Debatten über den knappen städtischen Raum.
1961 stellte Bosshard seine «City im See» der Öffentlichkeit vor. Eine gigantische, 14 Meter über dem Wasserspiegel thronende Terrasse von 700’000 Quadratmetern sollte als Fussgängerstadt dienen, darunter Verkehrsadern und über 70’000 Parkplätze.
Die drei Zonen waren klar konzipiert.
- Im Norden ein Kulturzentrum mit Theater, Museen, Kinos und einem Verwaltungsgebäude.
- In der Mitte das Büro- und Geschäftsviertel für bis zu 50’000 Arbeitsplätze, flankiert von einem Einkaufs- und Gastronomiezentrum.
- Im Süden eine Hotelzone mit Blick auf See und Voralpen.
Ein Grünstreifen von bis zu 100 Metern Breite rund um die neue Stadt sollte das Seebecken in eine Park- und Flusslandschaft verwandeln.
Infrastruktur aus einem Guss
Bosshards Plan sah eine rigide Trennung von Fussgängern und Verkehr vor. Unter dem künstlichen Plateau sollten Autos, Tram und eine mögliche Tiefbahn verkehren. Rolltreppen hätten Pendlerinnen und Pendler vom Unterbau in die Hochhaus-Stadt geleitet. Für die Finanzierung verwies Bosshard auf die öffentliche Hand, die günstige Nutzung von Kantonsgewässern und den Einsatz vorgefertigter Bauelemente.
Kritik und Widerspruch
Die Reaktionen waren heftig. In der NZZ meldete sich ein Architekt mit «energischem Einspruch» zu Wort und sprach von einer «frostig monumentalen» Fremdkörperstadt, die Zürich seinen See und damit sein Wesen nehmen würde. Die Presse sah sich gezwungen zu betonen, dass die Veröffentlichung des Projekts keine Billigung darstelle, sondern der Information diene.
Bosshards Vision wurde als Kraftmeierei, ja als «utopistische Narretei» kritisiert. Ökologische Aspekte oder rechtliche Grundlagen für eine derartige Aufschüttung blieben im Projektdossier weitgehend unberücksichtigt.
Zeit der verwegenen Stadtideen
Bosshards Plan fügt sich in die 1960er- und 1970er-Jahre, in denen Zürich mit mehreren radikalen Projekten experimentierte. 1971 etwa entwarfen Guhl, Lechner und Philipp die «Wohncity» über den Gleisen zwischen Hauptbahnhof und Altstetten, ebenfalls ein Plan, der an den Kosten und an der Komplexität scheiterte.
ETH-Stadtforscher Christian Schmid spricht rückblickend von einem «Akt der Verzweiflung». Die Enge der Zürcher Innenstadt liess kaum Spielraum für Expansion. Die Idee, auf See oder über Bahngelände auszuweichen, sei spektakulär, aber weder praktisch noch finanzierbar gewesen.
Wohnungsbau bleibt ein Dauerproblem
Heute erlebt die Debatte um die Überdeckung von Bahnhofs-Gleisen eine Neuauflage. Diesmal vor allem mit Blick auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Schmid bleibt skeptisch, auch solche Projekte würden enorme Kosten verursachen und letztlich eher Luxuswohnungen hervorbringen. Realistischer seien Stadterweiterungen wie sie vor Jahren die Architektengruppe Krokodil für Dübendorf vorschlug. Grossflächig, gut erschlossen und mit Potenzial für günstige Siedlungen.
Die «City im See» mag als städtebauliche Utopie gescheitert sein, sie bleibt dennoch Symbol einer Epoche, in der Zürich hochfliegende Ideen entwarf, um seine strukturellen Probleme zu lösen. Die Stadt suchte damals wie heute nach Raum, der nicht vorhanden ist und fand Antworten in kühnsten Visionen.