Wie Daten den Bau transformieren

Ab 2027 wird in der Europäischen Union der digitale Produktpass für energieintensive Branchen zur Pflicht. Was auf den ersten Blick nach reiner Regulierung klingt, entwickelt sich zu einem strategischen Faktor für den europäischen Bausektor und auch für die Schweiz. Für Unternehmen, die in die EU exportieren oder dort Projekte umsetzen, wird die Nachvollziehbarkeit von Materialien, Ressourcen und Produktionsdaten zum entscheidenden Wettbewerbsmerkmal.

Oktober 2025

„Am Anfang dachte ich auch, das sei ein EU-Ding“, sagt Prof. Dr. Adrian Wildenauer, Experte für digitales Bauen. „Aber die Auswirkungen auf die Schweizer Bauwirtschaft sind enorm.“

Der Produktpass verlangt, dass jedes Bauprodukt, von Zement über Holz bis zu Fensterprofilen,  digital dokumentiert wird. Angaben zu Herkunft, Zusammensetzung, Energieverbrauch und Recyclingfähigkeit müssen transparent auffindbar sein, meist über QR-Code oder Datenlink.

Dieser Wandel trifft auf eine Branche, in der Materialdaten bisher oft verstreut liegen. Wer künftig ohne DPP produziert, verliert den Zugang zum europäischen Markt. Für Schweizer Hersteller bedeutet das, ohne Daten keine Lieferung und damit keine Umsätze. Der Anpassungsdruck ist entsprechend hoch.

Datenqualität als Schlüssel
Viele Unternehmen besitzen bereits wertvolle Informationen, aber in unterschiedlichen Systemen und Formaten. Wildenauer sieht darin die kritische Schwachstelle: „Ich sehe schon, dass Hersteller zunehmend zu Datenhändlern werden. Aber nicht jede kleine Firma kann sich eine vollständige Datenhaltung leisten.“

Er plädiert für eine nationale Koordinationsstelle, die Normen, Tools und Standards für die Bauwirtschaft bündelt. „Wir müssen das helvetisieren“, sagt er. „Schnell, pragmatisch und gemeinsam.“ Nur mit einer schweizweit abgestimmten Datenstrategie gelingt es, Fragmentierung und Doppelarbeit zu vermeiden.

Transparenz schafft Vertrauen
Der digitale Produktpass ist mehr als eine regulatorische Auflage. Er schafft Markttransparenz und neue Qualitätsmassstäbe. Wenn Schweizer Produkte in den europäischen Datenbanken erscheinen, stärkt das Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit. Besonders in einem globalen Umfeld, das auf CO₂-Reduktion und Kreislaufwirtschaft setzt, kann dieser Schritt den entscheidenden Unterschied machen.

Mit der Offenlegung des gesamten Lebenszyklus von Materialien, von der Gewinnung über die Nutzung bis zum Rückbau, rückt die Ressourceneffizienz ins Zentrum. „Das alte Prinzip ‚Make, Take, Waste‘ hat ausgedient“, erklärt Wildenauer. „Wer Materialien wiederverwendet, spart Ressourcen und wird unabhängiger.“

Neue Kompetenzen entstehen
Die Datenorientierung verändert Berufe und Prozesse im Bauwesen. Entstehen werden Profile wie Datenmanager, Materialzertifizierer oder Spezialisten für Rückverfolgbarkeit. Diese neuen Tätigkeitsfelder verbinden technisches und digitales Know-how mit baulicher Praxis und Nachhaltigkeit.

Für Unternehmen beginnt der Wandel jetzt. „Nicht als kopfloses Huhn herumrennen“, rät Wildenauer. „Einfach anfangen. Welche Daten habe ich, welche fehlen?“ Eine erste Bestandsaufnahme genügt, um Ordnung ins System zu bringen. Künstliche Intelligenz kann später helfen, Muster zu erkennen und Prozesse zu automatisieren. Aber ohne saubere Basisdaten bleibt der Nutzen begrenzt.

Digitalisierung als Chance
Der digitale Produktpass markiert eine neue Ära der Transparenz und Effizienz im Bauwesen. Er fordert Umdenken, bietet aber enorme Chancen. Unternehmen, die früh handeln, sichern sich eine starke Marktposition und gewinnen Vertrauen bei Investoren, Auftraggebern und Endkunden.

Wildenauer bringt es auf den Punkt: „Das ist keine Bedrohung, sondern eine Einladung, Ordnung zu schaffen und gemeinsam das Bauen resilienter und nachhaltiger zu gestalten.“

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