Städte warnen vor technokratischer Verkehrspolitik

Mit dem von Bundesrat Albert Rösti vorgestellten Bericht «Verkehr 45» liegt erstmals ein gesamthaftes Zukunftsszenario für Strasse, Schiene und Agglomerationsverkehr vor. Doch während das UVEK die ETH‑Studie als strategische Grundlage für die nächsten Jahrzehnte betont, melden sich die Städte mit deutlicher Kritik. Der Bericht vernachlässige zentrale Zukunftsziele wie Netto‑Null, Flächeneffizienz und nachhaltige Siedlungsentwicklung.

November 2025

Der Schweizerische Städteverband anerkennt den Versuch, nach den politischen Turbulenzen rund um den Autobahnausbau und die Finanzengpässe bei der Bahn eine koordinierte Planung vorzulegen. Gleichzeitig kritisiert er den engen Kreis der Beteiligten. Städte und Gemeinden seien zwar in der Begleitgruppe vertreten gewesen, aber zu wenig in die inhaltliche Ausgestaltung eingebunden, obwohl sie die Konsequenzen von Infrastrukturentscheiden unmittelbar tragen.

Die Resultate überraschen. Aufschiebungen wichtiger öV‑Projekte in Basel und die Depriorisierung des Bypass Bern Ost widersprechen aus Sicht vieler Städte den raumplanerischen Prioritäten. So überlagert die Logik kurzfristiger Kapazitätserweiterungen teilweise die langfristigen Prinzipien nachhaltiger Entwicklung.

Paradigmenwechsel gefordert
Ein wesentlicher Punkt der ETH‑Analyse, dass neue Infrastrukturen allein kaum zusätzlichen Nutzen bringen, blieb im öffentlichen Diskurs bisher weitgehend unbeachtet. Entscheidend sei die intelligente Nutzung bestehender Systeme durch Digitalisierung, betriebliche Optimierung und multimodale Verknüpfung.

Für den Städteverband ergibt sich daraus ein klarer Handlungsauftrag. Eine Verkehrspolitik der Zukunft müsse Lenkungs‑ und Preisinstrumente wie Mobility Pricing, Anreizsysteme für effiziente Nutzung und eine konsequente Kostenwahrheit stärker in den Vordergrund rücken. «Verkehr 45» liefere dafür kaum Grundlagen.

Zielbild statt Etappendenken
Der Verband warnt davor, dass politische Beschlüsse allein auf dem ETH‑Gutachten basieren. Stattdessen solle die Diskussion über Mobilität und Raum 2050 auf einer breiten, interdisziplinären Basis geführt werden. Dies unter Einbindung von Kantonen, Städten, Gemeinden und der Fachwissenschaft. Nur so lasse sich verhindern, dass bestehende Hierarchien zwischen Strassen‑ und Schienenprojekten verfestigt werden.

Finanzierung mit offenen Flanken
Auch finanziell zeichnet der Bericht ein Spannungsfeld. Der Bahninfrastrukturfonds reicht für die geplanten Ausbauten nicht aus. Der Städteverband begrüsst die Variante mit zusätzlichen 24 Milliarden Franken, warnt jedoch vor Sparmassnahmen bei BIF und NAF. Ohne verlässliche Finanzierung drohe ein strategischer Stillstand im Bahnausbau.

Breite Debatte statt Schnellverfahren
Die von Bundesrat Rösti angestrebte Vernehmlassungsvorlage bis Januar 2026 wird von den Städten als zu ambitioniert beurteilt. Ein ernsthafter Einbezug der betroffenen Agglomerationen innerhalb weniger Wochen sei kaum realistisch.

Der Bericht «Verkehr 45» kann zwar als Etappensprung für die nationale Infrastrukturplanung gelten, doch nur, wenn nun eine offene, wissenschaftlich fundierte und kommunal verankerte Debatte über Mobilität, Raum und Klimaziele folgt.

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