«Jede Bewertung stellt eine neue Herausforderung dar»

Januar 2023

Immobilienbewerter sind jeden Tag aufs Neue gefordert: Analytisches und strukturiertes Denken Sind gefragt. Immo!nvest hat mit zwei erfahrenen Berufsträgern gesprochen und zeigt auf, welche Talente und Eigenschaften für diesen Beruf von Vorteil sind und wie man ein guter bewerter wird.

Der Job des Immobilienbewerters ist vielseitig: Zum einen schätzen diese Fachleute Immobilien, zum anderen analysieren sie, in welche Richtung sich eine Liegenschaft aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht entwickelt. Bei den Bewertungen stützen sich Berufsträger:innen nicht nur auf nationale und internationale Standards, sie beziehen auch Faktoren wie Grundbucheintragungen, Miet- und Stockwerkeigentum, Altlasten oder privatrechtliche Vereinbarungen mit ein. Zudem prüfen sie die Qualität des Baus und die verwendeten Materialien. Immobilienbewerter:innen müssen sattelfest im Umwelt- und Baurecht sein und fundierte Kenntnisse des ZGB/ORs aufweisen. Darüber hinaus ist ein Immobilienbewerter in der Lage, seine Kunden in Sachen Nutzungsoptimierung sowie Rentabilität zu beraten.

Hugo Odermatt, Bereichsleiter Bewertung, ARLEWO AG:

«Langweile kenne ich nicht»

Zur Person
Hugo Odermatt besitzt einen Master in Real Estate Management von der Fachhochschule St. Gallen. Zudem absolvierte er den CAS Nachhaltiges Bauen, Architektur, Bau und Geomatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Seit dem Jahr 2014 ist er Bereichsleiter Bewertung bei der Arlewo AG und seit 2021 Präsident der Baukommission der SBL Wohnbaugenossenschaft Luzern. Odermatt ist zudem Bewertungsexperte SVIT und Mitglied der Bewertungsexperten-Kammer SVIT sowie beim Schweizer Immobilienschätzer-Verband (SIV).

Wie sieht Ihr Berufsalltag in maximal fünf Sätzen beschrieben aus?
Grundsätzlich kann ich festhalten, dass kein Tag dem anderen gleicht. Da gibt es hektische Tage, vollgepackt mit Sitzungen, Besichtigungen, Telefonaten und regem Austausch mit dem Team. Es gibt aber auch die ruhigeren Tage mit Zeit für Abklärungen, Be- und Verarbeitung, Aktenstudium und Berichtserstellung. Jeder Tag ist anspruchsvoll und spannend. Langeweile kenne ich nicht.

Welche Grundausbildung eignet sich für eine spätere Tätigkeit als Immobilienbewerter?
Ich glaube nicht, dass eine spezielle Grundausbildung für eine Tätigkeit als Immobilienbewerter notwendig ist. Natürlich hilft es, wenn Kenntnisse im Immobilienbereich vorhanden sind. Als ich meine Arbeit in der Branche aufnahm, erstellte mein Chef Bewertungen, die über meinen Tisch liefen. Da wurde mir klar, dass ich auch bewerten will. Eine gute Grundausbildung hilft. Wichtiger sind meines Erachtens jedoch eine gute Portion Neugier, Freude, zu Beginn Durchhaltewillen und die Fähigkeit, vernetzt zu denken.

Es gibt verschiedene Ausbildungsangebote. Welchen Lehrgang empfehlen Sie künftigen Berufsträgern?
In den letzten Jahren haben sich zahlreiche Anbieter etabliert, die Aus- und Weiterbildungsangebote im Bereich der Immobilienbewertung auf Top-Niveau bereitstellen. Ich empfehle, diese Angebote zu vergleichen, Informationsveranstaltungen zu besuchen und sich nach Möglichkeit mit Absolventinnen und Absolventen der entsprechenden Schulen auszutauschen. Natürlich spielen bei der Wahl eines Anbieters auch die persönlichen Umstände eine Rolle. Was für Kenntnisse und Fähigkeiten bringe ich bereits mit? Wie soll es im Anschluss weitergehen? Oftmals ist ein CAS oder ein Fachausweis in Immobilienbewertung lediglich ein Zwischenhalt auf dem persönlichen Berufsweg.

Welche Talente und Eigenschaften sind wichtig?
Ganzheitliches, analytisches sowie strukturiertes Denken und Arbeiten ist bei der Erstellung von Immobilienbewertungen essenziell. Zahlreiche Faktoren wirken sich auf den Wert einer Liegenschaft aus. Es gilt, all diese Einflussfaktoren (ganzheitlich) zu erkennen, den Einfluss auf den Wert einer Liegenschaft klar und verständlich zu beschreiben (analytisch) und allenfalls rechnerisch herzuleiten. Um den Überblick nicht zu verlieren, ist eine strukturierte Vorgehensweise hilfreich.

Was schätzen Sie an Ihrem Beruf besonders?
Im Vordergrund steht die Tatsache, dass jede Bewertung eine neue Herausforderung darstellt. Keine ist gleich wie die andere. Ein Bewerter ist ständig neu gefordert. Nebst dieser Challenge mag ich auch den Kontakt mit den Kunden. Ich stelle fest, dass der Anteil an Kundenbetreuung bis hin zur Beratung grösser geworden ist. Man kann sagen, der Kunde ist anspruchsvoller geworden.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?
Noch vor ein paar Jahren standen Daten eher spärlich zur Verfügung. In der heutigen Zeit geht es weniger um Quantität, sondern um Qualität. Daten allein stellen noch keine bedeutende Information dar. Ein wesentlicher Bestandteil der Bewertung besteht darin, den Wert oder die Qualität von Daten abzuschätzen, in einen Zusammenhang zu bringen und in einem Bericht nachvollziehbar zu beschreiben.

Sind Immobilienbewerter eher in grösseren Unternehmen gefragt oder eignet sich dieser Beruf auch für eine selbständige Tätigkeit?
Ich kenne Bewertende, die seit Jahrzehnten sehr erfolgreich ein Einzelunternehmen führen. Sowohl die selbständige Tätigkeit wie auch die Arbeit in grösseren Teams bieten zahlreiche Vor- und Nachteile. Ich denke, das ist auch eine Typfrage.

Wie wird man ein guter Immobilienbewerter?
Er besitzt meines Erachtens die Fähigkeit, sich ständig weiter zu entwickeln. Er sammelt laufend neue Erfahrungen und tauscht sich mit Berufskollegen aus. Dieser Austausch, verbunden mit regelmässiger Weiterbildung, Neugier und Freude am Beruf, machen aus einem Bewerter einen guten Bewerter.

Was raten Sie jungen Berufseinsteigern, um erfolgreich im Beruf Fuss fassen zu können?
Ich stelle fest, dass die jungen Berufseinsteiger genau wissen, was sie wollen. Was ihnen jedoch fehlt, ist Erfahrung. Deshalb empfehle ich jungen Berufsleuten, sich für das Bewerten genügend Zeit zu nehmen. Dabei meine ich nicht die Zeit für eine einzelne Bewertung, sondern ein, zwei Jahre an den eigenen Fähigkeiten zu arbeiten.

Welche Meilensteine und Highlights haben Sie in Ihrem Berufsleben bislang erreicht und erlebt?
Meinen Masterabschluss in Immobilienbewertung sowie die ISO-Zertifizierung sind zwei Meilensteine meiner bisherigen Tätigkeit. Mit Stolz und Freude erfüllt mich jede einzelne Bewertung. Denn ich finde, jeder Kunde darf von uns die bestmögliche Leistung erwarten, egal ob es sich um ein Einfamilienhaus, ein grosses Portfolio oder ein prestigeträchtiges Entwicklungsareal handelt.

Silvan Mohler, Leiter Immobilienbewertung, Thurgauer Kantonalbank (TKB):

«Ich bin ein Wert-Junkie»

Zur Person
Silvan Mohler ist Betriebsökonom FH und besitzt einen Master in Real Estate Management, Immobilienbewertung, Immobilienentwicklung und Immobilienmanagement von der Fachhochschule St. Gallen. Danach hat er den Immobilienbewirtschafter mit eidgenössischem Fachausweis absolviert. Seit 2014 ist er Leiter Immobilienbewertungen bei der Thurgauer Kantonalbank und seit 2020 Präsident des Schweizer Immobilienschätzer-Verbands SIV. Zudem ist er seit 2020 im Verwaltungsrat des Swiss Institute of Real Estate Appraisal (SIREA) und Vorstandsmitglied von REIDA (Real Estate Investment Data Association).

Wie sieht Ihr Berufsalltag in maximal fünf Sätzen beschrieben aus?
Ich leite das Immobilienbewertungswesen bei der Thurgauer Kantonalbank. Zusammen mit meinen Mitarbeitern betreue ich unsere externen akkreditierten Bewerter und beantworte fachliche Fragen. Zudem bewerte ich selber Immobilien und bin in diverse bankinterne Projekte involviert. Wir erstellen jährlich über 2500 Bewertungen, sowohl im Finanzierungsgeschäft als auch im klassischen Kundenauftrag.

Welche Grundausbildung eignet sich für eine spätere Tätigkeit als Immobilienbewerter?
Ich treffe auf Berufskollegen mit den unterschiedlichsten Grundausbildungen: Diese reichen vom Bereich der Architektur über Hochbauzeichner:innen, die sich weitergebildet haben und ein sehr gutes Flair für Immobilien und Zahlen aufweisen, bis hin zu technischen Berufen mit Bezug zur Immobilienbranche. Auch eine kaufmännische Ausbildung mit ökonomischer Zusatzausbildung bietet gute Einstiegsmöglichkeiten. Insbesondere wenn sie mit spezifischen Weiterbildungen im Immobilienbereich kombiniert wird.

Es gibt verschiedene Ausbildungsangebote im Bereich der Immobilienbewertung. Welchen Lehrgang empfehlen Sie künftigen Berufsträgern?
Als Mitglied des Verwaltungsrats der Swiss Institute of Real Estate Appraisal (SIREA) empfehle ich einen CAS Immobilienbewertung an einer Fachhochschule. Dieser umfasst sehr viel kompaktes und praxisnahes Anwenderwissen. Darauf kann flexibel aufgebaut werden – etwa anhand eines CAS Immobilienentwicklung oder Immobilienmanagements mit Schwerpunkt Immobilienbewertung, was schliesslich zu einem MAS REM führen kann. Aber auch mit einer Ausbildung an einem anderen Institut zum Immobilienbewerter mit Eidgenössischem Fachausweis sind die Absolventen sehr gut gerüstet.

Welche Talente und Eigenschaften sind wichtig?
Neben dem Flair für Immobilien ist die Fähigkeit, mit Zahlen umgehen zu können und diese korrekt zu interpretieren, von grosser Bedeutung. Zudem muss man sich rasch in örtliche Immobilienmärkte einfinden und diese verstehen können. Ein gutes Gefühl für Immobilienwerte ist essenziell. Das nötige Fingerspitzengefühl für die unterschiedlichsten Bewertungssituationen – wie zum Beispiel bei familiären Angelegenheiten – entwickelt man mit der Zeit. Heute ist es ausserdem wichtig, dass man in der Lage ist, die gängigsten Bewertungstools anzuwenden oder diese Tools in ihrer Funktionsweise zumindest rasch versteht.

Was schätzen Sie an Ihrem Beruf besonders?
Die Abwechslung, die jede Immobilie mit sich bringt: Jedes Projekt oder Objekt ist ein Unikat. Aber auch die tägliche Interaktion mit den Bankkundenberatern oder unseren Fachpersonen aus dem Credit Risk Management sowie den Kunden bereiten mir Freude. Zusammengefasst gefällt mir die Kombination aus der Zahlenarbeit und dem Kontakt zu sehr vielen unterschiedlichen Leuten, vom Mieter bis hin zum Eigentümer oder Investor. Ich bin ein «Wert-Junkie» und daran interessiert, das Optimum herauszuholen.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?
Die Märkte verändern sich stetig – man muss in der Lage sein, diese korrekt einzuschätzen. Neuen Tools und Methoden gegenüber sollte man offen sein, und wenn bei der Bearbeitung von Bewertungen Schnelligkeit gefragt ist, muss die notwendige Qualität beibehalten werden.

Wie wird man ein guter Immobilienbewerter?
Indem man lernt, die verschiedenen Ansprüche an ein Immobiliengeschäft und die Perspektive der verschiedenen Akteure zu verstehen. Wichtig ist es, den Markt ständig zu beobachten. Argumente der Auftraggeberschaft oder anderer Anspruchsgruppen sollten nicht kategorisch abgelehnt, sondern überprüft werden. Ich empfehle, möglichst viele Bewertungen zu erstellen und sich auch an schwierige Fälle heranzuwagen – gegebenenfalls mit Unterstützung. Und natürlich ist es wichtig, dass man sich stetig weiterbildet.

Was raten Sie jungen Berufseinsteigern, um erfolgreich im Beruf Fuss fassen zu können?
Der Start in einem Team erleichtert den Einstieg: Sich mit anderen auszutauschen und fachsimpeln, schärft die eigene Wahrnehmung. Berufseinsteiger sollten den Biss haben, sich auch mit komplizierten Fällen und Bewertungen auseinanderzusetzen.

Welche Meilensteine und Highlights haben Sie in Ihrem Berufsleben bislang erreicht und erlebt?
Meine frühe Selbständigkeit als Immobilienbewerter war für mich definitiv ein Meilenstein und eine Schule fürs Leben. Aber auch das Team Immobilienbewertungen bei der TKB zu leiten und in den letzten Jahren kontinuierlich neu ausgerichtet zu haben, zähle ich zu meinen beruflichen Highlights. Zudem bin ich seit 2020 Präsident des Schweizer Immobilienschätzer-Verbands SIV mit rund 750 Mitgliedern. Diese Aufgabe liegt mir sehr am Herzen.

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