Künstliche Intelligenz in der Projektentwicklung

Januar 2023

Worin könnte der Mehrwert im Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Projektentwicklung (PE) liegen? Dieser übergeordneten Fragestellung ging der Autor im Rahmen seiner Abschlussarbeit am Center for Urban & Real Estate Management (CUREM) der Universität Zürich nach.

Megatrend KI
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind Megatrends, die weitreichende und tiefgehende Veränderungen bewirken werden. Diese Technologien können als Innovation und Folgeinnovation mit grossem disruptivem Potenzial gesehen werden. Digitalisierung steht für digitale Herangehensweisen, Verfahren und Technologien, die Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend und immer schneller durchdringen. Dies führt zu neuen Prozessen und Werkzeugen, die Unternehmen, Menschen und damit Arbeit, Leben und Verhalten zwangsläufig verändern. Die Technologie ist dabei der Treiber, welcher Veränderungen bringt. Der Begriff Digitale Transformation beschreibt die Folgen und Auswirkungen der Digitalisierung. Deloitte hat vor einigen Jahren eine Übersicht zu Grad und Art der Betroffenheit unterschiedlicher Branchen durch digitale Innovation und Transformation veröffentlicht. Der Immobilienbranche wurde dabei eine hohe Betroffenheit in relativ kurzer Frist prognostiziert («short fuse, big bang»). Dieser Transformationsprozess ist derzeit im Gange. Hinsichtlich der innovationsauslösenden Technologien stellt das Marktforschungsinstitut Gartner Inc. jährlich in seinem Hype Cycle Report das Entwicklungsstadium von Megatrends dar. Sämtliche Technologien durchlaufen dabei die dargestellten Phasen, jedoch unterscheiden sie sich jeweils in Dauer und Durchlaufgeschwindigkeit deutlich. Die in der Abschlussarbeit zentrale Erklärbare KI («Explainable AI») befindet sich demgemäss etwa auf dem Gipfel der überzogenen Erwartungen (siehe Abbildung 2). Zwar funktionieren in diesem Stadium bereits einzelne Anwendungen, gewisse Enttäuschungen sind jedoch vorgezeichnet. Auf dem Pfad der Erleuchtung werden sich erfolgsversprechende Geschäftsmodelle herauskristallisieren. Es bilden sich neue Märkte, da durch die gesteigerte Leistungsfähigkeit der Technologie und den daraus resultierenden neuen Kundenbedürfnissen eine zunehmende Nachfrage entsteht. Auf dem Plateau der Produktivität entfaltet sich schliesslich in technischer wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht das volle Potenzial der Anwendung.

Mit dem Erreichen der kritischen Masse von Anwendern wird sich KI auch in der Immobilienwelt zunehmend etablieren. Wichtig für den nachhaltigen Erfolg wird ein gesteigertes Bewusstsein für Daten und den Umgang mit diesen sein. Zudem müssen sich die Anwender Kenntnisse über Funktionsweisen von KI-Technologie aneignen. Die heute auf dem Markt verfügbaren KI-Anwendungen fokussieren auf einzelne Teilbereiche der Projektentwicklung und decken dadurch jeweils nur einen kleinen Teil des Gesamtprozesses ab. Als Grund hierfür ist auch die Komplexität von mehrjährigen Projektentwicklungen mit ihren unterschiedlich ablaufenden Phasen sowie vielen involvierten Stakeholdern zu nennen. Eine durchgängige und phasenübergreifende Lösung fehlt somit noch, es sind jedoch Tendenzen feststellbar, dass künftig dem Bedürfnis nach solchen Ansätzen nachgekommen wird. In der Abschlussarbeit werden anhand verschiedener Use Cases aktuelle KI-basierte Anwendungen behandelt.

Kooperation Mensch – Computer
Die Fülle an Daten, die zunehmende Digitalisierung sowie Fortschritte in der Computertechnologie versprechen also auch in der nicht unbedingt für Innovationsfreude bekannten Immobilienbranche den vermehrten Einsatz KI-basierter Anwendungen. Grosses Potenzial bietet hierbei die Standortsuche und Identifikation neuer Entwicklungschancen durch KI, was künftig vermutlich eine bedeutende Rolle spielen wird. Das Zusammenspiel Mensch – Computer ist dabei mehr als die blosse Summe seiner Teile. Ängste, dass die Entwicklung von Immobilienprojekten künftig überwiegend automatisiert und an den Computer delegiert werden könnte, sind unbegründet. Insgesamt werden Projektentwicklungen durch den vermehrten Einsatz von Künstlicher Intelligenz sogar menschlicher, da der Mensch noch stärker zum Manager wird, der die Ziele definiert, Aufgaben delegiert, kontrolliert und korrigiert. Die Komponente Mensch spielt dabei weiterhin die buchstäblich entscheidende Rolle, indem sie Ergebnisse der KI auf Sinnhaftigkeit prüft und weiterverarbeitet. Dabei wird es in der Projektentwicklung immer auch um menschliche Bedürfnisse wie Vertrauen und Eigenschaften wie emotionale Intelligenz gehen.

Wenn die Voraussetzungen also gegeben sind, kann Künstliche Intelligenz bereits heute einen Mehrwert in der Projektentwicklung schaffen, indem beispielsweise standardisierbare Analyseaufgaben an den Computer delegiert werden und der Mensch sich somit auf das Wesentliche konzentrieren kann. In diesem Zusammenspiel behält die menschliche Intelligenz in der Synthese der Ergebnisse weiterhin ihre entscheidende Rolle, mit dem Ziel, ein besseres Produkt für Entwickler und Gesellschaft hervorzubringen. Chancen und Nutzen überwiegen dabei Risiken und Aufwände. Letztere müssen zunächst durch innovative Entwickler getätigt werden, um die Innovation auf den Weg zu bringen. Wenn sich dann ein hoher relativer Nutzen der Anwendung einstellt, kann diese reüssieren und gebräuchliche Prozessmodelle verbessern oder gar ersetzen.

Zur Person
Simon Lindhuber, geboren 1983. Architekturstudium an der Technischen Universität München sowie der ETSA Madrid, Abschluss als Dipl.-Ing. TUM 2010. Master of Advanced Studies UZH in Real Estate, Abschluss 2021. Mitglied der Bayerischen Architektenkammer. AIV-Schinkelpreis für Architektur 2009. Ab 2016 bei Topik Partner AG (ehem. Odinga Picenoni Hagen AG) in der Projektentwicklung tätig, u.a. Neubau eines Geschäftshauses an der Bahnhofstrasse, Zürich. Seit 2021 als Head of Real Estate bei modissa ag c/o HANUVER AG, u.a. für die strategische Portfolioentwicklung und die Führung des Property Managements sowie diverse Digitalisierungsprojekte
verantwortlich.
Abbildung 1: Betroffenheit der Branchen (vgl. Deloitte, 2012).
Abbildung 2: Entwicklungsverläufe neuer Technologien (Gartner, 2020).

Weitere Artikel