«Eine Grossstadt mit kleinstädtischem Charme»

Mai 2023

Der Stadtpräsident von Winterthur, Michael (Mike) Künzle, erklärt die Smart-City-Strategie der Stadt, weshalb Bevölkerungswachstum Chance und Herausforderung gleichzeitig ist und wie er gedenkt, Winterthur zu einer nachhaltigen Stadt zu machen.

Wo sehen Sie aktuell die grössten Herausforderungen für die Stadt?
Winterthur verzeichnet ein starkes Wachstum. Dieses birgt Chancen, aber auch Herausforderungen. Immer mehr Menschen möchten nach Winterthur ziehen. Das erfordert eine grössere Anzahl verfügbarer Arbeitsplätze, denn kurze Arbeitswege bedeuten Lebensqualität. Zudem müssen wir mehr Verkehrs- und Bildungsinfrastruktur zur Verfügung stellen. Das ist mit Kosten verbunden – auch wenn wir durch die wachsende Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner mehr Steuereinahmen generieren. Dennoch sind grössere Investitionen nötig, um das Wachstum aufzufangen. Mit «Winterthur 2040» haben wir definiert, wo verdichtet werden soll. Bis 2040 rechnen wir mit rund 135’000 Einwohnenden.


Sie haben es bereits erwähnt: Die Stadt Winterthur zählt aktuell über 120’000 Einwohner. Sie verzeichneten vergangenes Jahr das stärkste Bevölkerungswachstum seit Jahrzehnten. Woran liegt das?

Winterthur ist einfach eine super Stadt! Wir liegen hervorragend erschlossen. Wir bieten sehr viele Grünflächen, eine hohe Lebensqualität sowie ein vielseitiges Kulturangebot. Unsere Bildungsinstitutionen ziehen darüber hinaus vor allem junge Leute an. Dies bringt dem regionalen Arbeitsmarkt gut ausgebildete Fachkräfte. Natürlich profitieren wir auch von unserer Zugehörigkeit zum Wirtschaftsraum Zürich. Und wir sind eine moderne Technologiestadt, was für Unternehmen inte-
ressant ist. Kurz gesagt: Winterthur ist eine Grossstadt, die alles bietet, aber dennoch den kleinstädtischen Charme behalten hat.

Wie steht es hinsichtlich der stark angestiegenen Einwohnerzahlen um den Wohnungsmarkt der Stadt?
Wir kämpfen wie alle Städte mit einer sehr tiefen Leerstandsquote. Aber wir können immer noch auf ein paar wenige städtische und einige private Baureserven zurückgreifen. Die aktuelle Bau- und Zonenordnung lässt noch einiges zu. Es wird rege gebaut, das sehen wir an der Anzahl Baubewilligungen. Grundsätzlich streben wir eine gut durchmischte Stadt an. Deshalb sind wir bemüht, sowohl günstigen Wohnraum wie auch solchen für höhere Einkommen anzubieten. Meiner Meinung nach soll der Wohnungsmarkt aber nicht von der Stadt reguliert werden, er muss möglichst eigenständig funktionieren.


Sie haben die Fachstelle Smart City aufgebaut. Womit beschäftigt sich diese und wie funktioniert sie?

Wir waren die erste Stadt mit einer stadträtlichen Smart-City-Strategie in der Schweiz. Die Smart City setzt soziale und technologische Innovationen gezielt ein, um die Lebensqualität zu sichern, Ressourcen zu schonen und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Es geht also darum, unter Anwendung moderner Technologien den Alltag für die Bevölkerung zu vereinfachen und die Stadt gut zu vernetzen. Dafür haben wir die Fachstelle Smart City Winterthur gegründet. Darüber hinaus positioniert sich die Stadt Winterthur als Living Lab (WinLab), Reallabor respektive Teststadt, in welcher soziale und technologische Innovationen zugunsten einer nachhaltigen Stadtentwicklung erprobt, systematisch getestet und im Erfolgsfall skaliert werden können. Partner aus Forschung und Entwicklung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sind zur aktiven Teilnahme eingeladen.


Nachhaltigkeit ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort.
Stimmt. Die Stadt der Zukunft, da sind sich Forscherinnen und Forscher verschiedenster Richtungen einig, muss eine nachhaltige Stadt sein. Das bedeutet, die Stadt muss so gestaltet sein, dass sie sich wandelnden Rahmenbedingungen anpassen kann. Dies betrifft nicht nur die «Hardware» wie Infrastruktur, Bauten und Freiflächen, sondern auch die «Software», also die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen. Eine nachhaltige Stadt ist demnach ökonomisch erfolgreich, ökologisch verträglich, sozial stabil und damit: Resilient. Das nachhaltige Winterthur soll darum auch eine ökologische Stadt sein, im Sinne der Lebensqualität für ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Dazu gehören möglichst wenig Emissionen, genügend Grünflächen, Freiraum und flexible und vielfältige Fortbewegung. Im Hinblick auf soziale Resilienz ist es uns wichtig, Netzwerke zu stärken und bestehende Benachteiligungen anzugehen.


Was wurde im Bereich der digitalen Transformation der Stadtverwaltung konkret unternommen und was ist noch geplant?
Um die digitale Transformation gezielt und ganzheitlich angehen zu können, erarbeitet die Stadt aktuell eine Digitalisierungsstrategie. Diese richtet sich nach den Bedürfnissen der verschiedenen Anspruchsgruppen und orientiert sich an den zur Verfügung stehenden Mitteln und Ressourcen. Unser Ziel ist es, einen schnelleren und möglichst niederschwelligen Kontakt zur Bevölkerung zu schaffen. Aktuell bietet die Stadt über 90 E-Services, die über ein zentrales Portal erreichbar sind. Auch intern wollen wir unsere Arbeitsprozesse noch effizienter gestalten. Höchste Priorität hat dabei aber nicht nur eine einfache Handhabung, sondern insbesondere der Datenschutz und die Datensicherheit. Die grösste Herausforderung ist und bleibt aber die Geschwindigkeit, mit welcher die Digitalisierung voranschreitet. Hier gilt es, Schritt zu halten. Wir sind noch nicht am Ziel, aber wir sind gut unterwegs.


Sie haben 2017 die Vereinigung der Vereine Winterthur Tourismus und Standortförderung Region Winterthur initiiert. Entstanden ist die neue Organisation House of Winterthur. Welches Fazit ziehen Sie rund sechs Jahre später?
Wir haben mit House of Winterthur einen Verein gegründet, der uns erlaubt, integriertes Standortmarketing zu betreiben. Wir waren damals die erste Stadt, die das probiert hat. Wir wollen Marketing für die Stadt und die Region Winterthur quasi aus einer Hand betreiben und eine höhere Wertschöpfung generieren. Wir sind mit einer sehr breiten Trägerschaft gut gestartet. Die Trägerschaft ist mit dem Kanton, Gemeinden, Unternehmen, Hotelbetrieben, Restaurants, Kulturinstitutionen und der Stadt sehr breit; die unterschiedlichen Ansprüche zu erfüllen, war eine sehr grosse Herausforderung. Wir haben hier bestimmt nicht alles optimal gemacht. Seit eineinhalb Jahren haben wir einen neuen Direktor und sind daran, den Vorstand neu zusammenzustellen. Von der Idee bin ich nach wie vor überzeugt, wir müssen sie aber noch optimieren und justieren.

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