Diese Visualisierungstrends wirbeln die Immobilienbranche auf

Juli 2021

Immo!nvest beleuchtet drei Start-ups, die weltweit führende technische Innovationen entwickelt haben. Ihre Tools und Lösungen bieten nicht nur Wettbewerbsvorteile, sondern auch Kosteneinsparungen.

Anwendungen und Tools wie 360°-Rundgänge, interaktives Design oder Virtual Reality (VR) sind nicht neu. Aber das, was zwei Schweizer und ein deutsches Start-up daraus gemacht haben, schon. So zum Beispiel das Zürcher Start-up Coding Mind AG mit ihrem Produkt «Remotely360°»: Die Gründer, Alexandros Tyropolis und Danijel Veljkovic, haben die 360°-Rundgänge revolutioniert: «Diese virtuellen Rundgänge gibt es seit rund 10 Jahren. Aber uns gingen die bestehenden Lösungen auf dem Markt nicht weit genug: Die Touren werden vor allem als Marketingtool wahrgenommen. Einmal ins Internet eingepflegt, überlässt man Mietinteressenten danach sich selbst. Aufkommende Fragen bleiben unbeantwortet – allfällige Missverständnisse können nicht geklärt werden», analysiert der CEO, Alexandros Tyropolis.

Deshalb können sich bei der Lösung von Remotely360° die Vermarkter und die Interessenten digital im Objekt treffen: «Der Immobilienbewirtschafter erhält alle Informationen zum Objekt eingeblendet. Dank der Integration von Google Streetview und Google Maps kann zudem die Umgebung gezeigt werden», erklärt der CEO. Im Chat könnten weiterführende Unterlagen umgehend versendet werden. Der integrierte Grundriss zeige an, wo im Objekt man sich gerade aufhalte. Mit diesem Angebot gehört das Unternehmen zu den sogenannten First Movern: «Uns sind weltweit nur eine Handvoll Start-ups bekannt, die ähnliche Ideen verfolgen», sagt der Jungunternehmer. Insbesondere grosse Player im Bereich von 360°-Touren hätten es verschlafen, den Gedanken weiter zu spinnen und sich zu fragen, wie 360°-Touren im Prozess der Vermarktung tiefer greifen könnten. Zu den Kunden von Remotely360° zählen unter anderem Firmen wie die CBRE Group, Crédit Suisse und Swiss Finance & Property Funds AG.

Um das Tool zu nutzen, ist in einem ersten Schritt die Digitalisierung der Immobilie notwendig. «Wir pflegen ein Netzwerk an Fotografen, die das Objekt bei Bedarf mit einer 360°-Kamera ablichten», erklärt Tyropolis. Der Kunde könne dies aber auch problemlos selber erledigen: «Unsere Lösung ist mit sämtlichem 360°-Kameras kompatibel.» Danach sei nur noch ein Internetbrowser erforderlich. Das Hosting der Touren ist kostenlos. Wer von weiterführenden Tools profitieren möchte, bezahlt Fr. 24.90 pro Objekt und Monat.
Das Start-up wurde während der Coronapandemie gegründet. Ob diese dem Tool einen Schub verliehen hat, können die Macher deshalb nicht abschliessend beantworten. «Corona sensibilisiert definitiv und hat die Akzeptanz auch bei konservativeren Markteilnehmern erhöht», sagt Tyropolis. In Zukunft soll die innovative Lösung auch für weitere Anwendungen im Lebenszyklus einer Immobilien wie etwa Übergabeprotokolle genutzt werden können. «Die gleichzeitige Implementierung eines Handwerkerofferten-Tools ist in Planung. Ein Meilenstein wäre darüber hinaus die Verbindung von Visualisierung und Foto. Wir arbeiten daran, um Böden, Farben oder Ausstattung in die 360°-Tour zu integrieren», verrät Tyropolis die Zukunftspläne.

Der Bau von Musterwohnungen erübrigt sich
Auch das im 2017 gegründete Start-up «Hegias» mit Sitz in Zürich und Lugano will Bauplanern, Architekten, Vermarktern und Behörden das Leben erleichtern. Und zwar mit täuschend echten Rundgängen durch Immobilien, die sich oft noch in der Planungsphase befinden. Nicht selten lautet das erste Wort, dass die drei Gründer Patrik Marty, Tuan Nguyen und Andreas Schmeil, von ihren Kunden hören: «Wow!». Die drei Jungunternehmer setzen bei ihrer Lösung auf Virtual Reality (VR). «Uns fiel auf, dass die VR-Anwendungen von Agenturen statisch, teuer und schwierig mit anderen Interessengruppen zu teilen sind. Wir möchten VR demokratisieren und die Anwendung auch für kleinere Projekte wie zum Beispiel Einfamilienhäuser möglich machen», erklärt Marty, der die Funktion des CEO innehat. So entstand die Idee, eine Software zu entwickeln, mit der jeder ohne Erfahrung und Programmierungskenntnissen Inhalte in die VR bringen, in Echtzeit verändern und gemeinsam mit allen involvierten Personen begehen sowie besprechen kann.

Hegias VR funktioniere einfach und intuitiv: «Unsere Lösung ist weltweit als erste komplett browser- und cloudbasiert; man zieht lediglich einen 3D-Plan in seinen Internetbrowser und wenige Minuten später kann man diesen begehen – mit oder ohne VR-Brille», erklärt der Jungunternehmer. Mithilfe sogenannter Bibliotheken können die Pläne anschliessend materialisiert und möbliert werden. Die Innovation soll Missverständnisse und Planungsfehler verhindern und den Bau von Musterwohnungen erübrigen. Für Bestandsbauten sind Zusatz-Services wie den Laserscan einer Immobilie und der anschliessenden Erstellung eines 3D-Modells erhältlich.

Die Akzeptanz in der Immobilienbranche sei sehr gross: «Wir wagen sogar zu sagen, dass alle, die Hegias VR live erlebt haben, nie wieder bauen, ohne das Projekt vorher in der VR zu begehen», ist Marty überzeugt. Heute sei VR noch ein Wettbewerbsvorteil, in wenigen Jahren werde sie jedoch zum Standard werden. Die Lösung sei für die breite Masse und für die Kollaboration entwickelt worden. «Die Anwendung ist komplett automatisiert. Unsere Innovation ist damit deutlich günstiger als die VR-Angebote der Agenturen», sagt der CEO. Eine virtuelle Begehung eines Projekts koste je nach Abonnement und dessen Auslastung weniger als 200 Franken.

Die Lösung ist bereits in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch) verfügbar. «Der Fokus wird in den kommenden zwei Jahren nebst der Schweiz auf Ländern liegen, die vermehrt Building Information Modeling (BIM) einsetzen. Sprich: Skandinavien, Grossbritannien, die Niederlande und die USA», verrät Marty. Die Pandemie habe den Digitalisierungsschub in der Branche beschleunigt: «Wir spüren, dass vermehrt Lösungen für dezentrale Besprechungen und Begehungen von Immobilienprojekten gesucht werden.» Marty fasst weitere Vorteile des Tools zusammen: «Wettbewerbe lassen sich rein digital durchführen. Auch können Einsprachen abgekürzt und am Ende des Tages kann schneller, effizienter, nachhaltiger und günstiger gebaut werden.»

Das Potenzial der Anwendung sei noch lange nicht ausgeschöpft. Marty eröffnet: «In fünf Jahren ist auf unserer Plattform die Bestellung von Materialien und Möbeln per Mausklick möglich – selbstverständlich nachdem man sie sich in der virtuellen Realität in Ruhe in seinen eigenen vier Wänden angesehen hat.» Spätestens in zehn Jahren werde die VR fester Bestandteil unseres Lebens sein – davon ist der findige Unternehmer überzeugt.

Immobilien- und Möbelanbieter sind erstmals direkt vernetzt
«Täuschend echt» sind Attribute, die auf die Einrichtungslösung für Immobilienmakler vom deutschen Start-up MockUp Studio zutreffen. Monica Riad, Gründerin und CEO, hat ein Tool entwickelt, mit dem Wohnungen virtuell mit echten Möbeln eingerichtet, Böden verändert, Wandfarben ausprobiert werden können und Deko beliebig austauschbar ist. Das alles in naturgetreuer Qualität, die nicht von echten Fotos zu unterscheiden sei: «Vor allem für Neubauprojekte oder sanierungsbedürftige Wohnungen ist unsere Lösung interessant», erklärt die Geschäftsführerin. Das Tool ermöglicht das Hochladen von Grundrissen und Wohnungsbildern. Daraufhin wird die Wohnung automatisch digitalisiert und kann virtuell eingerichtet werden. «Von der digitalisierten Wohnung lassen sich unkompliziert 2D-Bilder oder auch 360°-Touren erstellen», sagt Riad, die MockUp Studio 2017 gegründet hat.

Die Nutzer können verschiedene Einrichtungsstile ausprobieren und dank der Zusammenarbeit mit Möbelhändlern die Lieblingsstücke direkt in der Anwendung bestellen – ein absolutes Novum, wie Riad sagt: «Wir sind die Ersten, die Immobilien- und Möbelanbieter direkt verbinden – und das Ganze zu 70 Prozent automatisiert.» Um das Tool zu verwenden, werden lediglich Fotos der Wohnung benötigt – Smartphone-Qualität reicht aus. Die Lösung kostet ab 100 Euro pro Raum. Werden gleich mehrere Objekte digitalisiert, reduziere sich dieser Betrag bis auf 25 Euro. Der nächste Entwicklungsschritt steht kurz bevor: «Ende 2021 bieten wir das Tool auch für Endkunden an», gibt Riad bekannt.

Die Digitalisierung ist aus der Immobilienbranche schon heute nicht mehr wegzudenken. Die vorgestellten Start-ups dürften mit ihren Ideen und Lösungen den Nerv der Zeit treffen – und die Branche in den kommenden Jahren vielleicht sogar international aufwirbeln.

Zur Person
Mario Facchinetti, Gründer von PropTechMarket, hat
den Überblick im Innovations-
Dschungel. Als Experte weiss er, worauf es bei der Evaluation und Implementierung von qualitätsgeprüften PropTech-Lösungen ankommt:
www.proptechmarket.ch

Marios Tipp
Visualisierungslösungen machen Immobilien mobil. Das Angebot ist gross und schwer überschaubar. Dieses Frageraster hilft bei der Entscheidungsfindung.

  1. Handelt es sich um einen Neu- oder einen Bestandesbau?
  2. Welcher Qualitätsstufe wird das Objekt zugeteilt: High-End- oder Standardbau?
  3. Wer ist die Zielgruppe: Mieter oder Käufer? Wie steht es um die digitale Affinität?

Für Neubauten eignen sich Lösungen im Bereich der virtuellen Realität, um Visionen erlebbar zu machen. Diese Technologie hat sich über die letzten Jahre stark entwickelt und wird massentauglich. Für Bestandsobjekte gehören 3D-Visualisierungen immer öfter zum Standard – die Realisierung ist unkompliziert und an die Qualitätsansprüche der Kundschaft anpassbar. Wer solche Touren einfach auf der Objektseite einbindet, hat noch lange nicht den maximalen Mehrwert aus den Modellen herausgeholt. Nebst digitalen Terminvereinbarungen und Besichtigungen über einen integriertem Live-Stream können mit dieser Lösung auch virtuelle Möblierungen unordentlicher oder leerstehender Objekte in 2- oder 3D gezeigt werden.

Natürlich darf der Kunde bei der Vielzahl von Möglichkeiten nicht ausser Acht gelassen werden. Die Art der Objektvisualisierung sowie deren Einbindung in den Besichtigungsprozess ist an die Zielgruppe das entsprechende Medium (Online-Portale, Printinserate, Social Media, Webseite, Plakate, usw.) anzupassen.

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